- Das tschechische Kino hatte seine ganz großen Sternstunden. Gibt es die heute noch?
- Mir scheint, in Tschechien arbeitet eine spannende jüngere Generation von Filmemachern, etwa Kolja Raschke. In den Sechzigern war dieses Kino wirklich außergewöhnlich und in der Lage, Hollywood Impulse zu geben. Heutzutage erweist es sich als eine ziemlich heruntergekochte Angelegenheit. Petr Zelenka ist ebenfalls ein sehr interessanter Filmemacher. Das Prager Národni Filmový Archiv etwa produziert auch weiterhin fantastische Stummfilm-Restaurierungen, verfügt jedoch für Retrospektiven über nicht genügend Geld.
Man sollte nicht vergessen, dass es sich beim jungen tschechischen Film oft um ein Kino handelt, das zum Teil bewusst mit dem Export liebäugelt. Ein humanistisches, mit tendenziell touristischem Lokalkolorit versehenes Kino. Jedoch nicht so lokal, dass man es im Ausland nicht mehr verstehen würde. Aber derartige Arbeiten findet man in fast jedem Land: ein gutbürgerliches, kultiviertes Kino, das ich persönlich ganz in Ordnung finde, das aber aus der Perspektive eines Filmmuseums nicht relevant erscheint.
Demgegenüber entstanden etwa in Argentinien, wo die Filmschaffenden finanziell ähnlich mager ausgestattet sind wie in Osteuropa, in den vergangenen Jahren einige herausragende Werke, die historische Bedeutung für sich beanspruchen können.
Polen muss sich bezüglich seiner filmhistorischen Aufarbeitung mit seinen eigenen Fragen auseinander setzen: Holocaust, Religion, Identitätssuche …Es gibt bleibend wichtige Mikrotraditionen, die nahezu subkutan verlaufen. Bezüglich des polnischen Kinos erscheint mir Andrzej Munk der Wichtigste. Munk, der früh gestorben ist und nur vier oder fünf Langfilme gemacht hat, war ein Regisseur, der für das moderne europäische Nachkriegskino viel interessanter ist als alle seine polnischen Zeitgenossen, inklusive Andrzej Waida. Munks zentraler Film „Pasazerka“ (1961) gilt für mich als der vielleicht stärkste Spielfilm zum Holocaust. In Polen konfrontiert man das Publikum heute oft mit groß angelegten Historiendramen. Das dient auch gewissen nationalistischen Avancen und hat viel mit der lokalen Förderpolitik zu tun. Ich entdecke dort eine gewisse Grobheit im ästhetischen Ausdruck und, gemessen an der großen Geschichte dieses Landes, enttäuscht mich das natürlich ein wenig. Andererseits agieren in Polen seit kurzem wieder junge Leute, die sehr spannende Arbeiten zu Wege bringen, Malgorzata Szumowska etwa, Robert Glinski mit „Hi, Tereska“ oder der Film „Edi“.